Geschichte(n) um Rickert

  • Der Grenzstein (aus einer Erzählung von Claus Peters)

Die Gemarkung Rickert soll früher größer gewesen sein. Die südliche Grenze soll weiter im Süden, noch hinter dem Rickerter Kamp, parallel zur heutigen Neuen Dorfstraße in Büdelsdorf verlaufen sein. Da die Bevölkerung in Büdelsdorf mehr zunahm als die in Rickert, verschoben die Büdelsdorfer den Grenzstein immer wieder weiter in Rickerter Gebiet. Die Rickerter setzten dann zwar den Grenzstein wieder zurück, aber nach einigen Tagen war er dann wieder noch weiter nach Norden gesetzt. Dies wurde vor allem für die jungen Leute beider Gemeinden ein Dauerspiel. Bis es den Rickertern eines Tages zuviel wurde und sie den Grenzkrieg beendeten, indem sie einen solchen Stein auf die Grenze setzten, der nur mit der Kraft von 16 Pferden auf seinen Platz zu bringen war. Er liegt noch heute genau an der Stelle, an der die Grenzen von Rendsburg, Büdelsdorf und Rickert zusammentreffen.

  • Französische Quartiergäste 1808

(Auszugsweise Abschrift aus der Zeitschrift "Die Heimat") Anfang Juni 1808 erhielt der Hufner Hans Peters in dem fünf km nördlich von Rendsburg gelegenen Anwesen Duten zwei Offiziere vom französischen Artillerie-Train in Quartier und wurde schlecht und recht mit ihnen fertig. Weil die Vorschriften es verlangten, daß die Soldaten der fremdländischen Hilfsvölker in Betten unterzubringen seien, erhielten beide ein gemeinsames Bett. Am 2. Juli erkrankte einer von ihnen und mußte ins Hospital gebracht werden. Als Ersatz kam der Korporal Colbert von derselben Kompanie und mit ihm zog der Unfriede ins Haus.

Dieser Mensch, dessen Betragen äußerst brüsk und beleidigend war, verlangte sofort ein eigenes Bett. Da aber der Bauer keines hatte, bot er dem Soldaten an, ein Bett auf der Erde zu bauen. Dieser ließ sich auf nichts ein. Er drang mit bloßem Säbel in die Wohnstube und schrie den Bauern an: "Du oder ich, einer von uns geht kaputt." Darauf ergriff der alte Vater des Bauern der hinter dem Soldaten stand, diesem von hinten über die Arme, weil er das Schlimmste für seinen Sohn befürchtete. Der junge Bauer, der in der Bedrängnis zwei kleinere Blessuren abbekommen hatte, ergriff ein an der Wand hängendes geladenes Gewehr, um sich mit dem Kolben den Franzosen vom Leib zu halten. Dabei wurde der Soldat leicht am Kopf verletzt. Danach brachten Vater und Sohn Petersen den Soldaten in sein früheres Quartier nach Rickert. Damit war für sie die Angelegenheit erledigt.

Aber sie hatten sich getäuscht. Gegen 3 uhr in der Nacht erschienen neun berittene Franzosen, holten den alten Vater aus seinem Bett, banden ihn an ein Pferd und trieben ihn mit Säbelhieben bis zum Gutshof Schirnau, wo sie den Gefesselten im Gefängnis an die Wand banden. Gegen 9 uhr morgens wurde er vor den auf Schirnau einquartierten Artillerie-Kapitän Meran geführt und auf dessen Befehl mit Faustschlägen ins Gesicht traktiert. Danach legte man den alten Mann über eine Holzbank und verabfolgte ihm viele Stockschläge auf das Hinterteil. Nach seiner Meinung hatte er wohl an die 100 Stockschläge bekommen. Danach konnte er sich nach Hause schleppen, wo er wochenlang krank lag.

Während das alles geschah, war der Sohn nach Rendsburg geeilt zum District-Kommandeur Major von Muck, um ihm das Vorkommnis der letzten Nacht zu schildern. Dieser sprach ihm guten Mut zu. Als er wieder nach Duten kam, erwartete ihn schon ein Kommando von neun Mann, die ihn nach Schirnau schleppten, wo ihm das gleiche widerfuhr wie vorher seinem Vater. Allerdings milderte die dicke Lederhose die Wirkung der Stockschläge. Auch er war danach bettlägerig. Als er wieder nach Hause kam, fand er auf seinem Anwesen sieben Franzosen vor, die ihm zur Strafe ins Haus geschickt worden waren. Er hatte alle zu beköstigen und ihre Anforderungen, besonders an Branntwein, waren von der Bäuerin kaum zu befriedigen.

Daß dem wüsten Treiben ein rasches Ende gesetzt wurde, war vor allem dem energischen Eingriffen der heimischen Militärbehörde zu danken. Am Abend des 3. Juli erschien der Regiments-Chirurgus Keil vom Oldenburgischen Regiment aus Rendsburg, den die Mißhandelten zu Hilfe gerufen hatten. Er meldete seinen Befund dem schon erwähnten Major von Muck, der den Vorfall dem Französischen General Boudet zur Kenntnis brachte, worauf alsbald die Besatzung von Duten abgezogen und der Kapitän Meran zum Verhör nach Rendsburg gebracht wurde.

Damit ließ es der empörte Major aber nicht bewenden. Er erschien mit dem Hardesvogt Christiani aus Hohn in Duten, um die Mißhandelten und das Personal zu vernehmen. Das Ergebnis gab er dann weiter an die französischen Behörden, an den Oberquartiermeister Haffner in Altona und an den Feldmarschall Prinz von Hessen. Um die Zivilbehörde zum Einschreiten zu bewegen, schrieb er an den Kammerherrn und Amtmann von Hütten, Ritter von Schmieden. Er forderte eine gerichtliche Untersuchung der Angelegenheit und Bestrafung der Schuldigen. Von dem Erfolg war Major von Muck dann aber sehr enttäuscht. Die Franzosen schrieben, daß die Schuldigen nicht hätten ausfindig gemacht werden können, daß sie aber niemals solche Übergriffe zulassen würden und dieselben hart bestrafen würden. Seine Ansicht über das Gebaren der französischen Bundesgenossen schrieb er an den Amtmann vom Amt Hütten:

Sr. Hoch- und Wohlgeboren
dem Herrn Kammerherrn und Amtmann von Schmieden,
Ritter in Schleswig

Da ich nicht weis, ob Se. Hochfürstl. Durchlaucht der Feldmarschall Ew. Hoch- und Wohlgebohren die Antwort des französischen Generals Gerard an den Herrn Kammerjunker v. Levetzow, betreffend die abscheuliche Behandlung des Bauern Hans Peters in Duten communiciert haben, so habe ich die Ehre, die Abschrift sowohl als die Übersetzung der Antwort gehorsamst zu übersenden mit der Bitte selbige unter Ew. Hoch- und Wohlgebohren Fidimirung und Unterschrift bemeldten Bauern geneigtest zustellen zu wollen. Billig hätte der Nahme des in der Antwort erwähnten und bestraften Offiziers angegeben und die Art und Ursache seiner Bestrafung in der ganzen französischen Armee durch Parolebefehl bekannt gemacht werden müssen. Sollten Ew. Hoch- und Wohlgebohren als Oberbeamter, in dessen Rechtspflege die unerlaubten Eingriffe geschehen sind, mit dieser Antwort nicht zufrieden seyn und sie nicht als hinlängliche Satisfication betrachten, so würden dieselben sich desfalls nur an den Kammerjunker v. Levetzow zu wenden haben. - Mir hat es Mühe und Correspondance genug gekostet, es nur soweit zu bringen, daß wir doch mit einer Antwort gewürdigt sind.

Rendsburg, den 27. Sept. 1808
Gehorsamst
v. Muck, Artillerie-Major


  • Geldgeschäfte in Rickert erzählt von einem Rickerter Bürger (die Namen sind frei erfunden)

Viele Vieh- und Grundstücksgeschäfte nahmen im Krug ihren Anfang. Bei einem Bier konnte man viel besser reden. So soll sich vor etlichen Jahren, kurz vor dem Ersten Weltkrieg, folgende Geschichte in Rickert zugetragen haben. Bauer Klein wollte seinen Besitz vergrößern und hatte aus diesem Grund ein Auge auf eine bestimmte Koppel des Bauern Groß geworfen. Er wußte auch, daß dieser die Koppel verkaufen wollte. Bei einem Gespräch beim Bier im Krug wurde man sich schnell handelseinig. Bauer Klein traf anschließend seinen Nachbarn und es kam zu folgendem Gespräch: "Na, hest Du de Koppel köfft?" "Ja, wi sünd uns eenig worn." "Aber, wie wullt Du denn dorhin komen?" "Ick hefft Wegerecht kregen." "Na, denn ist ja man good, aber beter weer ja ween, du harrst de vörste Koppel ok glieks mitköfft." "Ja, de wüll he ok verköpen, aber dat Geld dorför heff ick nicht." "Du weeßt doch, wo Du Di wat lehnen kannst, Du büst doch good dorvör, dat hest Du bald wedder ut de Welt." Zu dieser Zeit gab es in Rickert einen Bauern Reich, der finanziell gut dastand und manchmal zu banküblichen Zinsen Geld verlieh. Es gab nur ein Problem, man mußte diesen Bauern Reich im richtigen Moment erwischen. Er war ein konsequenter Mann, der, wenn er einmal "Ja" gesagt hatte, auch dabei blieb, auch wenn er später merkte, daß er ein Minusgeschäft abgeschlossen hatte. Genauso verhielt er sich aber auch, wenn er einmal "Nein" gesagt hatte und ihm ein gutes Geschäft entgangen war.

Es gab noch einen zweiten Weg. Dieser führte über die Ehefrau des Bauern Reich. Man trug ihr sein Anliegen vor und sie sprach dann bei passender Gelegenheit mit ihrem Mann. War ihr die Angelegenheit aber schon nicht ganz astrein, gab es kein weiteres Gespräch.

Bauer Klein wählte den zweiten Weg über die Bäuerin. Diese sprach mit ihrem Mann über die Sache und gab anschließend dem Bauern Klein Bescheid, daß er zu einem bestimmten Termin vorbeikommen solle, um das Geldgeschäft zu erledigen.

So wurde es auch gemacht. Bauer Klein bekam sein Darlehen zu banküblichen Zinsen gegen eine Unterschrift auf einem formlosen Schuldschein, auf dem auch vereinbart wurde, wie die Rückzahlung erfolgen sollte. Mit Bauer Groß wurde er sich auch schnell einig, und der Besitzwechsel der Koppel wurde durch einen Notar auf dem Amt durchgeführt.

Einige Jahre später stand der Erste Weltkrieg vor der Tür. Der Gläubiger Reich hatte vom Schuldner Klein noch eine bestimmte Summe Geld zu erhalten und suchte ihn deshalb auf. Es kam zu folgendem Wortwechsel: "Nu gifft dat ja wull Krieg." "Ja, gifft dat wull." "Du must wull ok noch los." "Ja, mutt ich wull." "Ja, aber ick krieg ja noch Geld vun Di." "Ja, kriggst Du." "Ja, wullt Du mi dat nich beter vörher geben, wi weet ja nich, ob Du wedderkümmst."

Wie dieses Geldgeschäft ausging, ist nicht bekannt. Aber Bauer Klein und Bauer Reich haben beide den Ersten Weltkrieg überlebt

  • "Tante Ströh" Auszug aus der Landeszeitung vom 17. Dezember 1985

"Dat gifft fast keen Huus, wo ick nicht ween bin." Christine Ströh ist eine Institution in Rickert. Seit 50 Jahren steht "Tante Ströh" - unter diesem Namen ist sie Freunden und Nachbarn besser bekannt - in der Küche, während andere feiern. Die 85jährige ist immer noch energisch im Einsatz, wenn im "Lindenkrog" ein Fest ausgerichtet wird.

Ihren Beruf hat Christine Ströh nicht so gelernt, wie es heute üblich ist. "Ick hefft mi dat vun anner Kochfruun affkeeken", erinnert sie sich, während sie emsig Petersilie hackt. 40 Gäste werden an diesem Abend zu einem Familienfest in der Wirtschaft erwartet. Spargelsuppe, Schweine- und Rinderbraten mit Gemüseplatte und allem, was sonst noch dazugehört, sowie Eis mit heißen Kirschen sollen auf den Tisch gebracht werden. Dafür braucht Christine Ströh keine Rezepte, ihre Standardgerichte - und das sind inzwischen etliche - hat sie im Kopf oder, besser gesagt, im Gefühl.


Es war Christine Schütt, wie sie von Geburt hieß, nicht ins Stammbuch geschrieben, daß sie als eines von sechs Landarbeiterkindern einmal das Zepter in verschiedenen Küchen schwingen sollte. Ihre Eltern mußten harte Feldarbeit leisten, um die fünf Töchter und den einen Sohn zu ernähren. Als 14jährige trat sie in Fockbek ihre erste "Stellung" an. Bis zum 25. Lebensjahr war sie in verschiedenen Haushalten angestellt. Als 28jährige heiratete sie Otto Ströh, der über 40 Jahre in der Carlshütte sein Brot verdiente.

Auch als junge Ehefrau mußte Christine Ströh arbeiten. Sie begann ihre Rundreise durch die Küchen in Rickert und Umgebung. Meistens fuhr sie mit dem Fahrrad zu ihren Kochterminen in die Nachbardörfer. Auch heute noch tritt "Tante Ströh" beinahe täglich in die Pedale. Bei Dunkelheit wird sie aber nach Hause gebracht.

Während sich heute größere Familienbegebenheiten häufig in Lokalen abspielen, feierte man früher zu Hause: "Ick har naher soveel, dat ick gar nix mehr annehmen kunn." Mit ihren Stammkunden teilte die Kochfrau Freud und Leid; denn auch bei Beerdigungen wurde sie gerufen. Wenn heute eine Kaffeetafel angesagt ist, dann saßen die trauernden Hinterbliebenen damals bei Frischer Suppe mit "Ries und Klümp" zusammen. Lieber denkt Christine Ströh an die freudigen Ereignisse zurück; denn sie ist eine fröhliche Frau, die für ihr Leben gern feierte. "Dormols geev dat extra «n Kökschendanz" weiß sie zu erzählen. Weil "Tante Ströh" keine Kinder hat, bereitete es ihr besondere Freude, den Nachwuchs in "ihren" Familien heranwachsen zu sehen. Manches Nachbarkind "bekochte" sie zur Taufe und Konfirmation ebenso wie zur Hochzeit.

Immer treu geblieben ist sie der Krögersfamilie Peters im "Lindenkrog". Zunächst rührte und brutzelte sie für Hans und Wiebke, die Großeltern des jetzigen Inhabers. Hans Hermann und Annelene Peters steht sie beinahe 30 Jahre zur Seite. "Ick bün froh, dat ick noch brukt war", sagt Christine Ströh. Und dankbar ist sie auch, daß sich die Wirtsleute und die Nachbarn immer um sie sorgen. Seit ihr Mann vor neun Jahren (eben vör de goldÕne Hochtied) starb, lebt die alte Kochfrau mit Kater Mini allein in ihrem Elternhaus an der Dorfstraße. Natürlich besorgt sie ihren Haushalt selbst, zieht jedes Jahr noch Hühner und Enten für den Kochtopf auf. Kummer bereiten "Tante Ströh" eigentlich nur ihre Füße, auch wenn sie heute längst nicht mehr soviel Figur zu tragen haben wie früher. Sehr zufrieden ist sie dagegen mit ihrem Gedächtnis: "Ick vergeet noch nix", und das Kochen für viele Gäste regelt sie noch ganz allein: "Dor lat ick mi ok gar nich twischenreden."

Nachtrag: Dieses Rickerter Original ist am 6. August 1988 verstorben.



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